Daniel Thalheim
Wenn Neo Rauch aus dem Atelier auftaucht und sich dem Publikum stellt, kann ihm und seiner Kunst das höchste Maß an Aufmerksamkeit gewiss sein. „Handlauf“ heißt seine aktuelle Ausstellung in der Leipziger Galerie EIGEN+ART. Gewohnt verschlüsselte Symbolbilder mit Comic-Charakter und kleinen Schlenkern zur Pop Art werden der Öffentlichkeit ab dem kommenden Wochenende präsentiert. Balancierende Menschen, tanzende Kentauren, dreibeinige Frauen und grelle Kontraste aus Neofarben und rauchigen Hintergründen lassen die neuen Werke wieder wie apokalyptische Klarträume erscheinen. Am 24. September stellte er mit Ralph Keuning, dem Direktor des Museum de Fundatie in Zwolle, seine frisch gemalten Bilder der Öffentlichkeit vor. Neo Rauch liefert im nebst erschienenen Katalogband auch ältere Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren nach.
Als der Leipziger Symbolist Anfang bis Mitte der Neunzigerjahre künstlerisch auftrat, arbeitete er mit weiten Flächen, die fast schon grafisch wirkten. Figuren nahmen nicht den Raum ein, wie die bei der LVZ-Kunstpreisausstellung gezeigten. Schon damals prognostizierten Maler- und Grafikerkollegen aus dem Umfeld der Hochschule für Grafik und Buchkunst Neo Rauchs kometenhaften Aufstieg in den Kunstolymp. Seine stets immer fahl wirkende Neonfarbigkeit in seinen Gemälden rückt ihn in die Nähe der Pop Art. Sein verschwenderisch eingesetzter Realismus wirkt so aus der Wirklichkeit entrückt und stellt sein Werk in die Nähe der Surrealisten. Seine Erzählstoffe sind verschlüsselt, die in seinen Bildern agierenden Menschen scheinen nicht wirklich zu wissen was sie tun. Doch uns rufen die gemalten „Comicstrips“ Bezüge, Vergleiche und Fragen zur Philosophie, Gnostik und Kunstgeschichte hervor.
Vielen Sujets wohnt etwas Geheimlehrerisches inne, wie bspw. im Bild „Entzündung“, ein Wort das Rauch treffend in seinen verschiedenen Konnotationen aufschlüsselt. Im Gemälde gießt ein Mann neben einer brennenden Laterne Benzin auf einen Laubhaufen; ein Spiel mit dem Feuer. Wenn der Künstler den Laternenträger als „Luciferus“ als Lichtbringer bezeichnet, brechen okkult-gnostische Bezüge auf, die etwas „crowleyistisches“ atmen. Luzifer als Lichtbringer ist außerdem eine extrem antikbezogene Gestalt aus der römisch-griechischen Mytholgie und dürfte sich auf den Planet Venus beziehen, der im Lateinischen als „lucifer“, im Griechischen „phosphoros“ bezeichnet wird und übersetzt als „Lichtbringer“ gleichzusetzen ist. Seine Energie ist im astrologischen Kontext im Zusammenhang mit neuen Handlungen zu sehen, dem geistigen und inneren Neuanfang. Fragt sich nur, warum der dürre Laubhaufen Gefahr laufen soll, zu verbrennen. Der Umgang mit Brennstoffen im Bild erreicht auch eine weitere Deutungsebene, weil ein Mann im Hintergrund mit einem Kanister spielt und ölige Schlieren in die Luft zeichnet, die Rauch als „Nordlichter“ bezeichnet. Greift Rauch den post-industriellen Abklang im Leipziger Westen auf als die Kanäle und die Wasserpfützen mit bunten Ölschleiern benetzt waren? Indizien, die zusammen gedacht ein großes Ganzes ergeben; der Prometheus, der den Menschen die Selbsterkenntnis brachte und somit auch Unheil stiftete. Denn sie wissen nicht was sie tun; für den ökologischen Trip in Richtung E-Mobilität und den Griff nach den Sternen opfern wir unsere Umwelt, unsere Natur und uns selbst mit unserer spirituellen Verbundenheit mit Pflanzen, Tieren und alles das was die Erde nur sein kann.
Wir leben in einem Bedrohungsszenario, das wir selbst verursacht haben aber als höhere Gewalt herbei deuten. Wir sehen die Konsequenzen nicht, die wir mit unserer Industrie, Landwirtschaft und auch Ökologie verursachen und laufen sehenden Auges in die Katastrophe. Fast schon erscheint die Welt heute so als würde ein Zauberlehrling ins Blinde hexen und so Chaos stiften. Sinnstiftend steht Lucifer auch für den Lehrer, wie er als Gestalt des Lichtbringers auf den Cover-Artworks der britischen Hardrockgruppe Led Zeppelin dargestellt wird. Ihr Gitarrist und Gründer Jimmy Page ist selbst bekennender Okkultist und ließ sich als begierigen Schüler darstellen. Ringsherum das Dunkel, das scheinbare Nichts, welches erst mit dem Öffnen des dritten Auges sichtbar, klar und hell wird. Bei Rauch sehen wir obskure Handlungen der gemalten Akteure, die nicht einmal das trockene Laub neben sich bemerken, das die ganze Welt entzünden könnte. Die Situation ist am Kippen, wird aber wiederum ausbalanciert. Doch die Bedrohung ist allgegenwärtig. So wippen in anderen Bildern Menschen auf Kreisel, tanzen auf wackeligen Brettern einen behäbigen Tanz, wankt ein Riese mit einer glitschigen Nixe durch die Dünen, bevölkern beschwänzte Chimären surreal anmutende Szenerien, spielen Männer Brummkreisel, massieren sich Echsen in die Landschaften ein. Gemälde in die der Maler seine Mitte gefunden hat und auch keinen Handlauf zur Sicherheit braucht. Das Geländer benötigt eher der Betrachter, der die symbolistischen Traumbilder zu entschlüsseln versucht.
In der Ausstellung sind insgesamt 16 Arbeiten zu sehen, die alle aus dem Jahr 2020 stammen, davon acht großformatige Gemälde. Der dazu erschienene Katalog bildet neben diesen noch weitere, vorher nicht publizierte Arbeiten ab.
Neo Rauch – Handlauf
Galerie Eigen+Art Leipzig
26. September bis 28. November 2020
Ausstellungseröffnung am 26. und 27. September
Ab 29. September kann die Ausstellung ohne Anmeldung aufgesucht werden.