Auf der dunklen Seite des Pop – Wie Okkultes Einzug in die Rockmusik fand

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Die Darstellung des Hermes Trismegistos im Bodenmosaik des Doms von Siena, Italien (wohlmöglich 2. H. 15. Jh.)

Wer sich mit dem britischen Mystiker Aleister Crowley beschäftigt, rutscht unweigerlich in einen Wust aus Verschwörungstheorien hinein. Oder stößt in der Popkultur des 20. Jahrhunderts auf Anhänger, die ihn und seine okkulten Praktiken zum Gegenstand ihrer Musik machen. Um was geht es genau?

Die Anbetung des Tiers

Der polnische Historiker Stanislaw Przybyszewski beschreibt in seinem Buch „Die Gnosis des Bösen“ von 1897 die Entstehung von Hexensabbat und Satanismus aus der sogenannten gnostischen Lehre, einer religiösen Strömung in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Das Wort „gnosis“ ist aus dem Griechischen entlehnt und bedeutet so viel wie „Erkenntnis“ oder „Inneres Erwachen“. Anhand des Beispiels der kirchlichen Bilderverfolgung und –zerstörung im Frühmittelalter erklärt Przybyszewski die Annahme, dass die Gnosis mit dem Teufelskult verwandt sei, denn im Mittelalter galten Künste und Wissenschaften als Werke des Satans („Ubique daemon!“ – „Überall herrscht der Dämon!“). Auch der Okkultist Aleister Crowley fühlte sich der dunklen Seite der Macht zugehörig. Der Brite übt auch auf die heutige Popkultur einen großen Einfluss aus. Er reiste vor über 100 Jahren nach Ägypten und erschuf einen mystischen Kult, der noch immer viele Menschen fasziniert. Aspekte seiner aus der ägyptischen Mystik geschöpften Lehre hielten mit dem Aufkommen der Hippiekultur auch Einzug in die Popkultur des 20. Jahrhunderts. Diese ist bis heute durchtränkt von der Faszination vom vermeintlich „Bösen“: Seit den Sechzigerjahren verpacken Bands und Künstler von Led Zeppelin, Black Sabbath, Ozzy Osbourne und Celtic Frost bis hin zu heutigen Formationen Geschichten und Botschaften rund um den Mythos vom Beelzebub in ihre Lieder.

Auch Ägypten faszinierte so manche Rockband. So erhob die britische Rockband Iron Maiden den Kult um das Land am Nil zur Superlative und ließ Mumien, Mystik und Hieroglyphen im 1984 erschienenen Studioalbum „Powerslave“ und der dazugehörenden Tournee auferstehen. Irgendwann würde wohl jede Rockband am Ende ihrer Karriere bei diesem Thema landen, gab Sänger Bruce Dickinson in einem Interview scherzhaft zu Protokoll. Die Schweizer Rockband Celtic Frost wiederum widmete ein ganzes Album, genannt „To Mega Therion“, dem „großen Tier“, wie sich der Mystiker Crowley mitunter auch nennen ließ. Eine andere Band benannte sich selbst entsprechend direkt danach – Therion. Ozzy Osbourne klagte im Lied „Mr Crowley“, was wohl in seinem Kopf vorgehe. Wird Crowleys „Lehre“ lediglich die realitätsferne Fantasie eines drogensüchtigen und syphiliskranken Wirrkopfs verstanden? Musiker wie Tom G. Warrior von Celtic Frost und Triptykon sahen sich selbst weder als Satanisten noch als Anhänger Crowleys.

Wie erklärt sich dies? Wer in die Frühzeit des Christentums eintaucht, stellt fest, wie heterogen diese Religion einst war. So meinten Mystiker und Anhänger der gnostischen Lehre, dass eine Gotteserkenntnis nicht durch die Vermittlerrolle eines Priesters erlangt werden könne, sondern nur durch sich selbst. Diese Lehren waren zudem von mysteriösen Wesen und Dämonen angefüllt. Kein Wunder, dass viele annahmen, die Gnosis sei das ketzerische Werk des Teufels. Kunst, Musik und Literatur erscheinen aus dieser Perspektive nicht als Werke zu Ehren Gottes, sondern als Götzendienste an das Biest.

Das Corpus Hermeticum, die Gnosis und der Totenkult der Ägypter

Wo sind die Wurzeln der heutigen Esoterik und des Okkultismus zu finden? Zum Beispiel die Tarotkarten, welche bisweilen zur Vorhersage der Zukunft benutzt werden: Dahinter verbirgt sich eine ganz andere Geschichte. Zwar wurden diese einst von Crowley kreiert, nachdem ihm die neue Fassung des sogenannten „Book Of Thoth“ vom ägyptischen Gott des Wissens und Schreibens persönlich eingeflüstert worden sein soll. Doch es gab bereits Vorläuferkartenspiele. Woher schöpfte sich also das Wissen über das Okkulte? Es liegt nahe, dass ein mittelalterliches Buch mit dem Titel „Corpus Hermeticum“ eine Rolle hierbei spielte. Es ist eine Schriftensammlung, die im 15. Jahrhundert womöglich von Byzanz nach Florenz kam. Cosimo di Medici ist 1462 als Besitzer dieses Buches nachweisbar. Er ließ es aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzen. Seither gilt es als eine der wichtigsten hermetischen, gnostischen Texte. Das wirft natürlich weitere Fragen auf.

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Der britische Okkultist Aleister Crowley.

Als im 2. und 3. Jahrhundert das Christentum noch aus verschiedenen, miteinander konkurrierenden Strömungen bestand und Aspekte des ägyptischen Isis- und Totenkultes und der griechischen Mitras- und Dionysoskulte in die Wiederauferstehungsidee Jesu aufgingen, existierte auch die oben erwähnte gnostische Lehre. Es entstanden damals Schriften wie das „Corpus Hermeticum“. Mehrere Überlieferungen des Werkes sind bekannt, die, grob umrissen, die Unzufriedenheit des Gnostikers mit seiner Lage in der Welt, das Schlechte darin und die Erlösung davon – welche durch den Menschen selbst und nicht durch einen Gott geschieht – thematisieren. Der Verfasser dieses Buches soll ein „Hermes Trismegistos“ gewesen sein. Diesen „dreimal größter Hermes“ gab es allerdings, wie man mittlerweile weiß, gar nicht. Vielmehr nimmt man an, dass er als Synthese aus dem griechischen Götterboten Hermes und dem ägyptischen Gott Thot erdacht wurde. Beide Gottheiten galten in dieser Zeit als Begleiter des Menschen bzw. ihrer Seelen im Totenreich.

So greift die Spurensuche weit ins antike Ägypten hinein. Thot soll den Menschen der Legende nach ein Buch übergeben haben, das einen Blick in deren Zukunft offenbaren soll. Angeblich sei das „Corpus Hermeticum“ eine Synthese aus diesem verschollenen Buch und griechisch-mystischen Hinzufügungen. Daher wird oft von einem antik-ägyptischen Ursprung des „Corpus Hermeticum“ gesprochen, womöglich in der Spätphase Ägyptens, als die Ptolemäer die Rolle der Pharaonen übernahmen. Zahlreiche andere Hinweise aus antiken Quellen scheinen die Annahme, dass es sich bei „Hermes Trismegistos“ um die Synthese zweier Götter handelt, zu untermauern. In dem Buch „De natura deorum“ des römischen Philosophen Cicero werden fünf Verkörperungen des griechischen Götterboten Hermes aufgezählt, von denen eine den Ägyptern die Gesetze und die Buchstabenschrift brachte. In der Spätantike entstand im hellenistisch geprägten Ägypten ein Buch namens „Buch des Sothis“. Darin wiederum ist von Thot als erstem Hermes die Rede.

Auch in die bildende Kunst hielt der angebliche Verfasser des Buches Einzug. Ein spätmittelalterliches Fußbodenmosaik in dem im 13. bis 14. Jahrhundert erbauten Dom von Siena zeigt diesen „Hermes Trismegistos“ als Lehrenden. Selbst ein Renaissance-Maler wie Leonardo da Vinci ist nicht vor der Zuschreibung gefeit, sich mit den heute als „esoterisch“ bezeichneten Lehren der Gnosis beschäftigt zu haben. Schnell findet man sich, wie in einem fiktiven Krimi von Dan Brown, zwischen Rosenkreuzern und Illuminaten wieder. Das wiederum bietet Nährstoff für weitere künstlerische Beschäftigungen. Wer sich die schwarzen Gestalten beim Wave-Gotik-Treffen anschaut und die Klänge der dunklen Rockmusik anhört, der ahnt ungefähr, worum es den Leuten neben der Zurschaustellung ihrer Sehnsucht nach Romantik noch gehen könnte.

Hermes Trismegistos in der Kunst und Literatur

Der „dreifach großer Hermes“ taucht in der Kunstgeschichte seit dem Spätmittelalter in bildlichen Darstellungen auf. Er gilt in Fachkreisen als die griechische Benennung des ägyptischen Gottes Thot. Da die griechische Entsprechung von Thot nicht als heidnischer Gott gilt sondern nach Tertull, einem frühchristlichen Schriftsteller aus Karthago, als „magister omnium phisicorum“ und nach dem Kirchenvater Eusebius als Verfasser von mystisch-theologischen Schriften, fand Hermes Trismegistos auch Eingang in die christlichen Feierlichkeiten. Die bekannteste Darstellung des Weisen ist die aus dem Dom von Siena. Die Darstellung des greisen Mannes mit Turban und Gewand soll sich von einem Ereignis ableiten, welches sich in Florenz zu Zeiten Cosimo di Medici zugetragen haben soll. Während der Feierlichkeiten am Johannestag soll unter den Verkündern der Erlösung ein bärtiger und orientalisch gekleideter Greis aufgetaucht sein, der als Hermes Trismegistos ausgegeben wird. Als bärtiger Mann mit fantastischem Gewand ist er auch in einer Arbeit des Florentiner Goldschmieds und Kupferstechers Maso Finiguerra (1426 – 1464) und in den Fresken von Pinturicchio (eig. Bernardino di Petto di Biagio, 1452 – 1513) im Appartement Borgia im Vatikan abgebildet.  H. T. wird im 16. und 17. Jahrhundert eine eine wichtige Rolle in der alchimistischen, hermetischen Literatur zuteil und erschient in dortigen Beschreibungen als geflügelter Greis und Mitglied der alchimistischen Trinität auf, oder auch als ein mit Kapuze bedeckter Mann, der sitzend das Buch der Geheimnisse auf seinen Knien hält. Der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe griff ebenfalls gnostisch-hermetische Ideen für sein Werk „Faust“ auf. Er bezog sich auf die Schriften eines Esoterikers namens Jakob Böhme. Fausts Webegleichnis von Zeit und Natur ist von diesen Ideen durchdrungen. So taucht in Goethes Werk mal der „ewige Meistermann“, mal ein webender Erdgeist auf. Selbst in Goethes Farbenlehre spricht der Dichter vom Ein- und Ausatmen als Grundrhythmus der Welt – für eine Forscherin wie Monika Neugebauer-Wölk ein Indiz, dass Goethe sich mit hermetischen Schriften beschäftigte. Im seinem Werk „Dichtung und Wahrheit“ beschreibt Goethe eine hermetische Schrift von 1723 – dem Rosenkreuzer-Traktat „Aurea Catina Homeri“. In diesem war die „Tabula Smaragdina“ des Hermes Trismegistos beigefügt und bot Rezepturen für die Umwandlung von Metallen. In diesem Licht betrachtet, müssten sämtliche Darstellungen des Teufels, der Dämonen und der Hölle hinterfragt werden. Die Darstellung des Trismegistos vom britischen Maler und Universalgelehrten William Blake als zirkelschlagender und langbärtiger Greis ist wohl das berühmteste Bild für die Verkörperung von Alchemie und Wissen.

Zum Thema erschien bei TASCHEN ein Buch:

Alchemie & Mystik
Alexander Roob
Hardcover, 14 x 19,5 cm, 576 Seiten

ISBN 978-3-8365-4933-2
Ausgabe: Deutsch