Zwischen Zweifel und Distanz – Warum die Farbigkeit in Arno Rinks Gemälden eine große Rolle spielt

Von Daniel Thalheim

Aktuell ist in Leipzig eine große Retrospektive zum Leipziger Künstler Arno Rink zu sehen. Der ehemalige Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst vertrat eine streitbare Position innerhalb des Leipziger Kunstkörpers. Er sagte von seiner Kunst, dass sie Ausdruck seiner inneren Zerrissenheit und Zweifel sei. Neben dem Unfertigen, neben der Andeutung, ist es vor allem die Farbigkeit seiner Gemälde, die große Schatten wirft. Wer genauer auf die Farbpalette schaut, stellt die Parallelen zu seinem Schüler Neo Rauch, und zu KünstlerInnen wie Kathrin Heichel und Titus Schade aber auch Querverbindungen zum deutschen Biedermeier und des Manierismus fest.

Auf der Suche nach der Farbigkeit im Werk von Arno Rink

Das erste, an das ich mich erinnern kann und mit der Malerei in der DDR in Verbindung tritt, war ein Besuch im Georgi Dimitroff Museum irgendwann Anfang der Achtzigerjahre. Damals war das Museum der Bildenden Künste fest im Griff des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates. Wir waren Schüler der Polytechnischen Oberschule Taras Schewtschenko und wurden in einen kleinen Saal geführt. Er wurde, so wurde uns gesagt, vorrangig für Vorlesungen für die Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst sowie dem Institut für Kunstgeschichte genutzt. Uns kam er wie ein Kinosaal vor. Die plüschigen Sessel, der Vorhang und die gedämpfte Stimmung des Raums hinterließen in mir den Eindruck, dass Kunst etwas Erhabenes sein musste. Bislang kannte ich nur die manieristischen und barocken Arbeiten von Raffael, Leonardo, Vermeer, Rubens und Rembrandt aus dem Kunstbuchbestand meiner Eltern und meiner Großmutter. Der Vorhang wurde aufgezogen. Wir blickten auf eine gemalte Tristesse in verblichenem Gelb, abgeschwächtem und schmutzigem Grün und Abstufungen von Ocker und Braun. Diese Farben waren uns wohlvertraut. Wir blickten tagtäglich auf die Resultate des abgewrackten Industriezeitalters. Leipzig selbst war ein Wrack, war in Grau, Braun, gelb- und Ockertönen getaucht – so erschien es mir an den schlimmsten Regentagen. Nahe dem Friedenspark und dem Hospitaltor lebend, bemerkte ich natürlich auch die Farbtupfer der inzwischen abgerissenen Kleingartenanlage mit seinen roten Kirschen, die über die sonnenbefleckten Zäune in den schmalen Weg hinter den Mietskasernen an der Leninstraße hingen, dem satten Grün des „Friedensparkes“ im Frühjahr und im Sommer, an die hellblaue Joppe, die ich als Kind trug und meinen Malkasten, dessen Töpfe nur reine Farben besaß. Das uns im Dimitroff-Museum gezeigte Bild, das mehrere – wahrscheinlich durch gemalten Sonnenlicht – angestrahlte Giebelfronten zeigte, Schornsteine und eine Wolkenmasse, die wie ein abziehendes Gewitter aussah, bedrückte mich. 

Der Lichtblick, der nach dem Unwetter in Öl getaucht wurde, verschwamm in meinem Gehirn zu einer öligen Pfütze, die es in Leipzig zuhauf gab. An dem Anblick war nichts erhabenes. Uns wurden verblichen gelbliche Bilder von Ulrich Hachulla und Sighard Gille gezeigt. Für mich war lange nicht erklärbar, warum die Farbakkorde so abgeschwächt waren. Hatte es mit dem generellen Mangel an Farbigkeit in der DDR zu tun, wo Gelb und Braun mit Akzenten von Grün zum Alltag gehörten und selbst das so grellbunte Kinderspielzeug grau erschien? Oder konnten sich die Künstler keine anderen Farben leisten als Gelb und Braun? 

Dabei ist das Bild „Beatabend“ von Hachulla ein körperliches Manifest aus reger und fein akzentuierter Farbigkeit und Abstraktion, wenn auch dieses Bild eine Gruppen junger Menschen zeigt, die einer Band zuhören und sich vor der Bühne gemütlich machen. Oder die „Demonstrationen“ von Volker Stelzmann: Wimmelbilder von Menschen in farbigen Grau-Gelb-Abstufungen mit zarten Farbpunkten. Lag die feine Akzentuierung von Mischfarben aber wirklich an der Beschäftigung mit der Farbenlehre, oder war die zurückhaltende Farbigkeit nur ein Ergebnis der Baryt-Anreicherung in den industriell hergestellten Farben, die es in der DDR zu kaufen gab?

Arno Rinks Bilder heben sich in ihrer Farbwahl von den Werken seiner Zeitgenossen ab. Sein Spiel mit Hell-Dunkel-Kontrasten, wenigen Signalfarben und die Zuwendung zum Blau des Romantikers, machen die Abwendung von sozialistisch-gesellschaftlichen Sujets deutlich. Er selbst steht größtenteils im Mittelpunkt seines Schaffens. Ihm ging es in seinen Bildern um die Form, und das, was im Zusammenspiel mit der Farbigkeit zum Ausdruck gemacht werden kann. Beispiele für seinen Ansatz gibt es viele. Ein Blick auf sein Frühwerk könnte seine Einflüsse offenlegen. Seine Ölskizze „Die Puppe“ erinnert an einen modernen Hieronymus Bosch, der nach seinem spannenden Hauptwerk Pilze gekaut, viele Blake-, und Dali-Werke sowie Max-Ernst-Gemälde neu interpretiert  hat, sie skizzenhaft als verschattete Trips auf Kartons und Leinwände warf. 

Die Arbeiter auf dem Rink-Bild sind zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft, oder erscheinen wie Zwerge, die die übergroße Modepuppe anbeten, die wie ein mythisches Mischwesen aus ölgewordenem Männertraum und aus Mechanik gedrechselter Ingenieurskunst erscheint. Ob die Berliner Rockband Rammstein sich was von dieser Ikonographie etwas abgeschaut hat? Das Gemälde hinterlässt den Eindruck, trotz seiner gemalten Perfektion, bedrohlich und kalt zu sein. Die kleinen, um sie herum drapierten, Figuren wenden sich vom Betrachter ab und scheinen aus dem Bild zu verschwinden. Angedeutete, ruinöse Architektur, ein glühender Himmel verstärken den Eindruck, hier kommt ein pinkfarbener Satan aus den Fantasien der ehemaligen „FF Dabei“-Redaktion auf die Erde hernieder und lässt sich feiern. Hinzu kommt die , vom Betrachter aus gesehene, erhobene linke Hand. Die Modepuppe weist so eine Parallele mit mittelalterlichen Baphometdarstellungen auf. „Die Puppe“ ist, so gesehen, ölgewordene Apokalypse. Das Verwaschene, Verkratzte und auch Entfärbte setzte sich kontrastreich in Rinks Schaffen fort. Klare, reine Farben sucht man – bis auf wenige Ausnahmen – auch hier vergebens.

Warum die Leipziger Schule eine Fortsetzung der Romantik ist

Um zu verstehen, wie die DDR-Maler aus Leipzig tickten – denn auch Tübke, Mattheuer & Co. verstanden es, aus einer eng gefassten Palette Großes zu zaubern – muss man einen Blick auf Johann Wolfgang von Goethe und Philipp Otto Runge werfen, oder besser gesagt: ihre Farblehren. Die Steigerung aus dem Klaren ins Trübe vereint beide „Farbphilosophen“. Was in bestimmten Abschnitten zutage tritt, ist die Beschäftigung mit den sogenannten dissonanten Akkorden. Wir kennen dies aus der Musik, wenn etwas schief und „daneben“ klingt. 

In der Farblehre Runges finden wir aber einen Zwei-, Drei- bzw. Mehrklang aus abgeschwächten Farben, die als Akkorde nebeneinander gestellt, eine bestimmte Stimmung erzeugen. Die Wirkung von Farbigkeiten auf das Gemüt tritt hier auch zutage. Beinahe können wir von der abseitigen Farbenlehre von Jazz in Malerei reden. Denn was in der Musik vielleicht schmerzhaft klingen würde, könnte in der Malerei eine (Dis-)Harmoniefolge ergeben, die den Betrachter fragen lässt, womit der Künstler nicht im Einklang steht: mit sich selbst, mit seiner Umgebung, mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen? 

Was bei William Turner und Impressionisten wie Claude Monet mit ihrer Freilufttechnik als natürlich und lichtecht nachzuahmen versuchten und rein ästhetische Grundwerte besitzt, muss bei den Leipziger Malern in der DDR-Zeit und auch partiell in ihrer Nachfolge durch u.a. Neo Rauch in einem anderen Licht betrachtet werden. 

Runges Farbenkugel trägt, ausgehend von den drei Primärfarben, die reinen Farben entlang des Äquators, woraus sich in Richtung Pole die Mischfarben ergeben, bis hin zum Schwarz bzw. Weiß. Ihm ging es mit seiner Farbkugel um die Veranschaulichung von Harmonien bzw. Disharmonien, die durch die Kontrastwirkung zueinander gestellter Farben erzielt werden. Gleichzeitig wohnt – unabhängig von Runges Farbtheorie und angewandter Praxis – eine Symbolik inne. 

Frédéric Portal (1804-1876) unternahm den Versuch, die Farbsymbolik zu systematisieren. Der französische Autor stufte Farben u.a. nach Licht und Dunkelheit (Weiß und Schwarz), Liebe und Willen (Rot und Weiß), Vernunft und Intelligenz (Gelb und Blau) ein. Portal fächerte die Farbkreisspirale soweit auf, dass die philosophischen Grundprinzipien seiner Farbordnung, dass die verschiedenen Eigenschaften und Leidenschaften, die nach seinen empirischen Studien den Farben innewohnen in verschiedenen Verhältnissen abgebildet sind. 

So ähnlich sehen wir es in den Werken der „Leipziger Schule“, dessen berühmtester Vertreter nunmehr ein gewisser Neo Rauch ist, der 2018 zusammen mit Rosa Loy das Bühnenbild für das Bayreuther Bühnenwerk „Lohengrin“ des musikalischen Spätromantikers Richard Wagner gestaltete und in Interviews weitläufig von seiner Begeisterung über die Befreiungskriege erzählt, welche ikonographischen Prinzipien er in seinen Bildern anwendet und so als spätgeborener Romantiker erscheint. Seine gedimmte Farbskala ist düster. Im Zusammenspiel mit den Sujets schafft er alptraumhafte Szenen, puzzlehaft zusammengesetzt aus Versatzstücken der Geschichte, DDR-Schulbuch-Illustrationen und Erinnerungen. Er setzt sich so auch von seinem Lehrer Arno Rink ab, der weitaus klarere Kontraste in seinen Bildern schuf. Setzt man seine und Neo Rauchs Arbeiten in die Folge von Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und Arnold Böcklin, jedoch durch die Linse eines Max Ernst betrachtet, erscheinen sie von der blauen Blume der Romantik geküsst worden zu sein. Ein Schlüssel zum Werk von Arno Rink scheint also auch die Farbskala zu sein. 

 

Die Ausstellung „Ich male!“ im MdbK ist noch bis zum 16. September 2018 zu sehen.

 

Begleitend zur Ausstellung erschien auch ein Katalog mit den wichtigsten Werken seines Schaffens und Texten.