Bildhauerische Coups und Experimentierfreude – Der Designer Rudolf Belling

Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen Installationsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jan Windszus / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Wenn die Kunsthistoriker Dieter Scholz und Christina Thomson schreiben, Rudolf Belling (1886-1972) sei keine „Marke“ wie andere Vertreter des Expressionismus und Neuen Sachlichkeit, dann liegt es ihnen zufolge an Bellings Vielseitigkeit und Experimentierfreude. Doch diese Aspekte eines künstlerischen Schaffens dürften als Markeneigenschaften gelten. Rudolf Belling ähnelt so mehr einem Universalkünstler, der auf verschiedenen Terrains wandelt und sich nicht auf ein Genre festlegen lässt. Die Vielfalt in Bellings Schaffen erzählt von politischen und persönlichen Umbrüchen.

Vom Visionär zum Geächteten und Vergessenen

Rudolf Belling blieb in zweierlei Dingen „geächtet“. Einerseits musste er aufgrund der Repressionen in Nazi-Deutschland in die Türkei emigrieren, andererseits blieb das Schaffen des, v.a. für Gewerkschaften arbeitenden, Künstlers nahezu unerforscht. 1981 erschien zu seinem Werk eine umfangreiche Monografie. Das Werkverzeichnis blieb aber unvollständig, weil das Buch sich nur mit der Zeit zwischen 1918 und 1923 beschäftigte und den Avantgardisten in ein Netzwerk international arbeitender Künstler stellte. Gerade wenn es um die Frühmoderne und Moderne geht, dachten Kunsthistoriker in der Vergangenheit „linear“. Will heißen, dass die innerhalb der – insbesondere – deutschen Kunstforschungen aufgestellten Epochengliederungen streng aneinander gereiht wurden: Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus, Biedermeier usw. Dass innerhalb der willkürlich aufgestellten Einteilungen diverse kunsthandwerkliche Strömungen existierten, ineinandergriffen und v.a. mit regionalen Ausprägungen eines bestimmten Dekorationsstils zu tun hatten, wird oftmals ignoriert. Gerade innerhalb der verschiedenen Strömungen der klassischen Moderne, d.h. vom Fin-de-Siècle bis heute, fallen, aufgrund der häufigen Reflexion darüber und ihrer Dokumentationen, diese Barrieren zusehends. Von dieser Erosion der Epochengliederungen profitiert die von diesem Zwang befreite Forschung über Künstler der Klassischen Moderne, so auch Rudolf Belling. Ein im März 2017 erschienener Ausstellungskatalog der Deutschen Nationalgalerie reflektiert alle Schaffensphasen des Künstlers. Bereits als junger Bildhauer kam er 1924 zu Ehren einer Ausstellung in der Nationalgalerie in Berlin. 1976 erhielt Belling posthum eine große Gesamtschau. Gegen das Vergessen hält nun der aktuelle Ausstellungskatalog an.

Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen Installationsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jan Windszus / VG Bild-Kunst, Bonn 2018
(Wie Vorschaubild) Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen Installationsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jan Windszus / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Der Meister der Verschmelzung

Der Berliner Künstler kam früh in Kontakt mit der Kunst. Seine Mutter stammt aus einer belgischen Künstlerfamilie. Aufgrund seiner Ausbildung zum Modelleur besuchte er die Kurse des Bildhauers Gottfried Sonnenfeld (* – +) und die Anatomiekurse von Hans Virchow (1852-1940). Zunächst am modisch-traditionellen und klassischen Stil der Kaiserzeit orientierend, änderte sich seine Sprache bereits im Ersten Weltkrieg schlagartig. 1915 und 1916 schuf er mehrere kleine Figurengruppen und Skulpturen. Zuspitzung, Bewegung und Ausdruck nahmen Raum in seinem Schaffen ein. Seine 1920 in Berlin-Moabit ausgestellte Charaktersumme des Architekten Hans Poelzig zeigt, wie Belling die Nähe zu den Expressionisten und Futuristen suchte. Im Lauf der Zeit wandte Belling sich zusehends abstrakteren Formen zu. Dagegen erscheint das 1927 entstandene Auftragswerk zu Gedenken an Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) nahezu klassisch.

Während der Weimarer Zeit beteiligte sich Belling an zahlreichen internationalen Ausstellungen, u.a. eine Gemeinschaftsausstellung mit dem Expressionist Max Pechstein (1881-1955), die Erste Internationale Kunstausstellung, Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung, Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik, German Painting and Sculpture. Es schien, Belling war innerhalb der großen Strömungen der Moderne eingebettet – bis die Nazis an die Macht kamen. Mehrere Arbeiten von ihm wurden für die „Ausstellung“ Entartete Kunst beschlagnahmt. 1936 nahm er eine Lehrtätigkeit an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul an. Fortan lebte Rudolf Belling in der Türkei. Während der Bombenkriege auf Berlin gingen seine in seiner dort noch gehaltenen Wohnung hinterlassenen Werke in den Flammen auf, oder wurden Opfer von Plünderungen.

Er selbst sah die extreme Vielfalt in seinem Werk als weniger problematisch. Er könne sich, eigenen Worten zufolge, alles erlauben. Im erweiterten Sinn, folgte er vielleicht auch Bruno Tauts „Architektur-Programm“ von 1918. Der Architekt postulierte, dass fortan der Kunst keine Grenzen gesetzt wären, ob Kunstgewerbe, Malerei, Architektur und Plastik. Alles wäre Bauen. Das Design-Zeitalter brach sich endgültig gegenüber den klassischen Formensprachen Bahn. Die damaligen Künstler begannen in Gesamtkunstwerken zu denken, so schon vor dem Ersten Weltkrieg die Vertreter der Arts-&Crafts-, Werkbund, Werkstätten- und Sezessionsbewegungen sowie die von der Bauhaus-Schule dachten und arbeiteten. Rudolf Belling und Bruno Taut (1880-1938) bildeten ein Zweiergespann während der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Auch im Film wirkte Belling mit. Er schuf bereits 1914 das Kostüm und die markante Figur des „Golem“, die 1920 im Streifen Der Golem, wie er in die Welt kam umher stapfte. Die Verschmelzung von Architektur und Plastik mündete auch in Bellings Ausstattung des Scala-Tanzcasinos 1920. Auch sein Bühnenbild für das Schlittschuhballett Futuristischer Carneval, Berliner Admiralspalast 1922 ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Synthese von Plastik und Architektur schlug sich auch in Wettbewerbsbeiträgen, wie 1923 zur (nicht realisierten) Gestaltung des Nollendorfplatzes nieder, oder auch bspw. am gemeinsamen Entwurf mit Alfred Gellhorn (1885-1972) und Martin Knauthe (1889-1942) einer Tankstelle in Halle/Saale – einer „spacig“ erscheinenden Kuppel. Oder auch der verlorene Gipsentwurf für ein Beethovendenkmal in Berlin – einer in einer kubischen Struktur gefangenen Kugel mit dem Reliefkonterfei des Komponisten.

Ganz so, wie Belling es von sich sagte, darf man sein Werk nicht von den Zeitgeistströmungen entkoppeln. Sein Schaffen versachlichte sich zusehends von Ende der Zwanziger- bis Anfang und Mitte der Dreißigerjahre, wie am Bsp. der 1936 für die damalige Mädchen-Mittelschule in Berlin-Lichtenberg entstandene Terrakotta-Figur Frau mit Kindern zu sehen ist. Das könnte fast zur Annahme führen, dass die Realisierung des goldenen Roboters C-3PO aus den Action-Streifen „Star Wars“ von Rudolf Bellings Skulpturen und Porträts der Anfangdreißigerjahre beeinflusst scheint.

Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen – Das Buch

Vom 8. April bis 17. September 2017 fand in der Neuen Galerie im Hamburger Bahnhof in Berlin eine bemerkenswerte Ausstellung statt. Ein Team um die Kuratoren Udo Kittelmann, Dieter Scholz und Christina Thomson trugen Quellen, Zeitungsschnipsel,

Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen - ein wertvoller Beitrag zur Erforschung der klassischen Moderne in Deutschland. (Bild: Hirmer Verlag Presse 2017)
Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen – ein wertvoller Beitrag zur Erforschung der klassischen Moderne in Deutschland. (Bild: Hirmer Verlag Presse 2017)

Werke von und über einen Künstler der Zwanziger- und Dreißigerjahre zusammen, der von der Kunstgeschichtsforschung weitgehend unbeachtet blieb. Der dazugehörige, 336 Seiten starke, Ausstellungskatalog trägt diese reichhaltige Fülle an Rudolf Bellings Werk in Papierform zusammen.

Die Werkmonografie wird allein schon aufgrund der breit aufgestellten Themen zu Raum, Skulptur und Architektur, ihren Verschmelzungen und Verdichtungen, den darin eingefrorenen Tempi und Bewegungen, für die kommenden Jahre das Nonplusultra darstellen. Betrachtungen zur Synthese von Architektur und Plastik wechseln sich ab mit der zur Skulptur im Raum und Bellings politischer Nähe zum Sozialismus in Deutschland und Holland. Die Begleittexte werden mit einem umfangreichen Anhang aus einem Werkregister der ausgestellten Werk abgerundet. Das detailreiche Biogramm beleuchtet den historischen Rahmen für Rudolf Bellings Leben.

Für Aha-Effekte dürften aber die zahlreich aufgeführten Synergien Bellings mit den Architektur-Brüdern Max und Bruno Taut sorgen. Beide Architekten hatten über die Maßen viele Künstler beeinflusst. Doch Rudolf Belling arbeitete eng mit ihnen zusammen. Mit dem Ausstellungskatalog zeigt sich, welche weißen Flecken in der Kunst- und Architekturgeschichte ausgefüllt werden könnten. Der vorliegende Katalog selbst ist somit unverzichtbar für Forscher und Laien.

Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen

Hg. Dieter Scholz, Christina Thomson

Beiträge von H. van den Berg, G. Debien, B. Dogramaci, A. Hartog, O. Kase, W. Knapp, A. Schalhorn, D. Scholz, C. Thomson, A. Zeising

336 Seiten, 382 Abbildungen in Farbe

20 × 26,5 cm, gebunden

ISBN: 978-3-7774-2783-6

Autor: Daniel Thalheim

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