Der gute Ort in Leipzig – Warum Wilhelm Hallers Werk nichts mit Art Déco und Bauhaus zu tun hat

von Daniel Thalheim

 

Vor 80 Jahren wurden die letzten Überreste eines Gebäudes geräumt, das in der  Architekturgeschichte der Leipziger Region als letztes Nachbeben der Reformarchitektur gilt. Die Feierhalle auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Leipzig wurde wie andere jüdische Sakralbauten Opfer der Pogrome 1938. Am „guten Ort“ brauchten die Nazis länger. An der Rabitzbetonkuppel bissen sie sich die Zähne aus.

Unwiederbringlich verloren – aber immer noch im Gedächtnis der Fachwelt

Otto Morgenstern überwachte die Abrissarbeiten. Das Gemeindemitglied der Israelitischen Religionsgemeinde stand im Briefwechsel mit dem damaligen Leipziger Baupolizeiamt. Er teilte dem Amt den Auftrag der im 19. Jahrhundert gegründeten Religionsgemeinde mit, dass die Firma Süptitz die Bau- und Schutzgerüste zur Verfügung stellte. Arno Barthel aus Leipzig-Wahren war der Sprengmeister. Die Dachdemontage übernahm Paul Engelhardt, die Zimmererarbeiten Otto Burckhardt, Klempnerarbeiten Richard Dietrich, Heizungsdemontage Ludwig Siber sowie den Abbruch und Aufräumung des gesprengten Mauerwerks die Firma Burckhardt & Thier. Morgenstern ließ im Auftrag der Israelitischen Religionsgemeinde die Kuppelhalle nicht aus freien Stücken sprengen und und die bereits im November 1938 durch Brand zerstörten Flügelbauten räumen. Abrissunternehmen und Handwerker wurden auf Druck der Stadt Leipzig von der Israelitischen Religionsgemeinde beauftragt, diesen Teil des Zerstörungswerks vorzunehmen. Hier folgte die Gemeinde dem behördlichen Druck, der vom preußischen Innenministerium und von der Nazi-Regierung in Berlin ausging: die Überreste des Zerstörungswerks der Nazis während der Novemberpogrome mussten die jüdischen Gemeinden in Deutschland durch eigene Kosten finanzieren.

Der Abbruch der Leipziger Einsegnungshalle begann am 13. Februar 1939. Bereits im Januar bis Februar 1939 erfolgten die näheren Vorbereitungen für Demontage und Abriss. Gleiches betraf die Leipziger Synagogen. Die Räumung der jüdischen Läden, die meist der jüdische Privateigentümer, bzw. Pächter oder Mieter übernehmen musste, wurde ebenfalls zum Jahresanbruch 1939 veranlasst. Im Mai 1939 konnte die Israelitische Religionsgemeinde die restlose Abtragung der Feierhalle sowie Einebnung des Geländes, wo die Friedhofskapelle stand, an das Baupolizeiamt übermitteln.

Der Bildhauer Hanns Degelmann plante und verwirklichte zwischen 1947 und 1951 auf dem Grundstück der ehemaligen Feierhalle ein Mahnmal für die Opfer der jüdischen Gemeinde in Leipzig. Dieses Denkmal befand sich mitten auf dem quadratischen Grundriss der abgerissenen Feierhalle von Wilhelm Haller (1884 – 1956), dessen Keller mit Schutt derselben ausgefüllt und mit Rasen abgedeckt wurde. Der von Otto Mossdorf geplante Friedhof blieb in den Wirren des Krieges bestehen. Der Landesverband der jüdischen Gemeinden der DDR sowie privaten Spender finanzierten dieses Mahnmal.

Der Nachfolgebau der 1939 abgerissenen Feierhalle wurde bereits in den frühen fünfziger Jahren vom Architekt Walther Beyer geplant. Von dem Staatssekretariat für Kirchenfragen wurde die schlichte Halle mit Geldern bezuschusst. Die damalige Gemeinde umfasste gerade einmal vierzehn Mitglieder von ursprünglich achtzehntausend. Sechstausend von ihnen fielen dem Holocaust zum Opfer, die anderen flohen ins Exil. Aufgrund der geringen Mitgliederzahl nach dem Krieg schien zwar ein neuer Bau notwendig zu sein, aber in merklich kleinerer Ausführung und schlichterer Gestaltung. Walther Beyer folgte im Grundriss die Umfassungsmauern des Kellers der vorigen Feierhalle. So steht der jetzige Bau auf den Grundmauern und Fundament des monumentalen Baus von Wilhelm Haller. Hierfür musste das Mahnmal von Degelmann versetzt werden.

Die neue, 1955 geweihte, Feierhalle besitzt Raum für sechzig Sitzplätze sowie Nebenräume und Wirtschaftskeller. Beyer plante eine Stuckarbeit für die Decke der Halle. Heute befindet sich im Inneren die Skulptur von Raphael Chamizer (1882-1957), die Anfang der Neunziger Jahre von dem Alten Israelitischen Friedhof aufgrund der dortigen Schändungen überführt wurde. Sonst erinnert nichts an die Vorgeschichte eines Gebäudes, das in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch über Leipzigs Grenzen hinaus Wellen in der Fachwelt schlug, wenn auch nur kleine. Eine irrlichternde Randnotiz begleitete die Einsegnungshalle und ihre architektonische Bedeutung seit 1988: irrtümlicherweise wurde das Bauwerk im Vorfeld der Planungen der großen Ausstellung „Juden in Leipzig“ vom damaligen Bezirksdenkmalpfleger als „zu unbedeutend“ eingestuft, um auf ihr einen zentralen Fokus für die Ausstellung zu dienen. Dabei muss allein der eindrucksvolle Anblick des Inneren der Feierhalle die Erleuchtung geben, dass dieses Bauwerk etwas ganz besonders für Leipzig darstellte und in seiner architekturgeschichtlichen Bedeutung den gleichen Rang einnimmt wie der Baukomplex der Grassi-Museen, der fälschlicherweise in den Stilbegriff „Art Déco“ geschwurbelt wird.  

Art Déco – Wie ein Stil erfunden wird

Hilary Gelson war Journalistin der „Times“. Sie schrieb 1966 einen Bericht über die Kunstströmungen, die nach dem Ersten Weltkrieg stellvertretend für die „Goldenen Zwanziger“ stehen sollten. Auslöser war die 1966 gezeigte Rückschau „Les Années 25 – Art Déco, Bauhaus, Stijl, Esprit Nouveau“. Sie stellte auf Grundlage der 1925 in Paris veranstaltete Kunstgewerbeausstellung „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ den Stilbegriff „Art déco“ vor. Kurz darauf setzte sich der Name schnell durch. Auch in Deutschland hat sich „Art déco“ als Titulierung für flächige Ornamentik, expressive Farbigkeiten und zackige Formen etabliert – leider. 

L’Art Decoratif ist ein Verlegenheitsbegriff

In der Vergangenheit wurde alles das als „l’art decoratif“ bezeichnet, was eben dekorativ und schmuck aussieht. Die „arts décoratifs“ fassen im Prinzip das zusammen, was im Englischen „Arts & Crafts“ bedeutet und im Deutschen seine Entsprechung im Kunsthandwerk findet. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts setzte sich der Begriff „l’art decoratif“ als kunsthandwerkliche Einordnung durch. Denn Stilbegriffe wie Rokoko und Barock hat es als zeitgenössische Quellenbegriffe so nicht gegeben. Sie wurden im 19. Jahrhundert als abwertende Begriffe eingeführt.

Gilles-Marie Oppenort (1685-1742) war ein französischer Architekt. Er gilt als einer der Hauptvertreter der Régence-Stil-Dekoration. Als Régence wird eine relativ knappe Periode unter Ludwig XV. bezeichnet, die sich von 1715 bis 1723 erstreckte. Philipp von Orléans übernahm die Regentschaft, weil der junge König noch minderjährig war – daher der Begriff Regentenstil. Der opulente Schmuck an den von u.a. Oppenort entworfenen Portale, Altäre, Grabmäler, Obelisken, Möbel und Uhren geben die im 19. Jahrhundert erschienenen Bücher „L’Art Decoratif Appliquee a L’art Industriel“, „Histoire de la peinture décorative“ und „L’art décoratif dans le vieux Paris“ beredte Zeugnisse ab, dass seine Ornamentkunst als Designer und Zeichner im 19. Jahrhundert als „dekorativ“ verstanden wurde. Oppenort entwarf Ornamente, die er aus den italienischen Grotesken zu einem „rocaille“-Design weiterentwickelte, was in Deutschland gern als „Rokoko“ bezeichnet wird. Auch das wurde damals als „decoratif“ bezeichnet.

Das Rokoko rettete sich ins 20. Jahrhundert, weil damals noch „Art déco“ nicht als Formen- und Stilbegriff Eingang in die Kunstgeschichte gefunden hatte. Der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann errichtete 1901 das Renaissance-Theater in Berlin auf einem spitzwinkligem Grundrisss eines ehemaligen Vereinshauses. 1928 bezeichnete der deutsch-jüdische, und nach seiner Emigration anglo-amerikanische Kunsthistoriker Max Osborn die farblich opulente Einrichtung aus den Zwanziger Jahren als „expressives Rokoko“. Heute wird alles als „Art Déco“ beschrieben, was in den Zwanziger- und Dreißigerjahren stilistisch zusammengeschmissen wurde. Eigentlich nahm der Ausstellungsbegriff Bezug auf die kunsthandwerklichen Sezessionsströmungen, die um 1900 sich als Trend durchsetzten und so uneinheitlich und kunterbunt daherkamen, dass bis zur besagten Pariser Ausstellung von 1925 kein einheitlicher Stilbegriff gefunden werden konnte.

Hallers Einsegnungshalle – Ein Novum aus Reformarchitektur, organischem Bauen und jüdischer Tradition

Über sein Schaffen in Leipzig ist, mit Ausnahme einer Monografie, die auch zahlreiche Entwürfe auflistet, nicht viel belegt. Am längsten arbeitete er an der Idee der Einsegnungshalle für den Israelitischen Friedhof im Norden von Leipzig. Seine Entwürfe gehen bis ins Jahr 1922 zurück.

Zehn Jahre vor ihrem Abriss, um 1927 bis 1928, war die Halle ein Novum. Die Leipziger Feierhalle auf dem neuen Israelitischen Friedhof stand im Mittelpunkt in Wilhelm Hallers Schaffen für Leipzig. Bereits zur Fertigstellung besaß sie den Status eines „Wahrzeichens“, da sie mit ihrer außergewöhnlichen Architektur, die Menschen in ihren Bann zog, schrieb Günther Meyer in seinem 2005 erschienenen „Der Friedhofswegweiser – Diesseits und Jenseits“. Zeitgenossen waren begeistert über die Ausführung des Hauses, welches für die jüdische Gemeinde Symbolkraft besaß. So schlug sich die Begeisterung auch im Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde nieder. Einerseits wies der Friedhofsbau auf den Reichtum und die Vielfalt der Israelitischen Religionsgemeinde hin, die aus den vielfältigen Religionsströmungen Europas und dem Nahen Osten ihre Kultur und Ausstrahlung schöpfte, andererseits blickt Hallers Kuppelbau in die Moderne, scheint nahezu den Gipfel darzustellen, den die Leipziger Gemeinde seit ihrem Entstehen im frühen 19. Jahrhundert und stetigem Anstieg bis in die Weimarer Republik erklomm. 

Die Friedhofsanlage wurde im Laufe des Jahres 1927 ausgeführt und 1928 vollendet. Schon im September 1927 zeichnete sich ein Ende der Bauarbeiten an dem Gebäudekomplex des jüdischen Friedhofs an der Delitzscher Landstraße ab. Doch Geldmangel zögerte die Fertigstellung der Halle hinaus, die im Dezember des gleichen Jahres als Rohbau fertig gestellt war um bei Bedarfsfall diese Räumlichkeit nutzen zu können. Die Weihe der auf fünfhundert Sitzplätze ausgelegten Haupthalle fand am Sonntag, dem 6. Mai 1928 statt. Die Leipziger Feierhalle bot ein Aufsehen erregendes Bild, das sich detailliert in der Leipziger Gemeindezeitung niederschlug.

Doch schon 1925 publizierte der Architekt eine Schrift, die sein bedeutungsvollstes Bauwerk in die noch junge Strömung des „organisches Bauens“ einordnete, wie sie u.a. kurze Zeit zuvor Architekt Hugo Häring es formulierte. Haller sah in der Vollendung des Einsegnungshallenkomplexes einen Organismus, das aus verschiedenen Systemen, bzw. Organen besteht, die durch Design und Form miteinander verbunden sind. Ablehnend stand er reinen formalästhetischen Fragen, die damals aus der Kunstgewerkeschule „Bauhaus“ in Dessau in die Kunst- und Architekturwelt strömten. 

Wilhelm Haller verwirklichte seine ausgereiften Entwürfe zur achsenbetonten Dreiflügelanlage mit zurückspringendem Mittelteil zwischen 1925 und 1927. So entstand 1928 zwischen den Flügelbauten der Verwaltung und Wärterwohnung ein kleiner begrünter Vorplatz. Die Außenfassade der Halle sowie der Flügelbauten waren von außen glatt und blau verputzt. Rote Falzziegel bedeckten die Dächer der gesamten Anlage. Die Gebäudeflügel mit ihren Kopfbauten wurden mit Walmdächern bedeckt. Zusätzlich bekam die Eisenbetonkuppel ein oktogonales, leicht spitzkuppeliges Falzziegeldach mit einem Glasoberlicht, welches prismenartig nach unten mit der Eisenbetonkuppel verbunden wurde und so für einen stetigen Lichteinfall sorgte. Über das spitzbogige Drillingsportal der Vorhalle befand sich der hebräische und deutsche Schriftzug mit den Worten; „Stark wie der Tod ist die Liebe“. 

Die Vorhalle springt von der Kubatur des Hallentraktes leicht hervor und ist nach oben zweifach abgestuft, so dass dieser Gebäudeteil sich leicht nach oben zur Kuppel hin verjüngt. Diese zweijochige Vorhalle erscheint auch niedriger als der restliche Baukomplex. Wohl lag das an den beiden „Eckrisaliten“ der Feierhalle, die kubenartig über die Gebäudehöhe der Verwaltungsflügel hervorragten. Spitzbogige Fenster und Portale prägten jeweils die Straßen- und Gartenfassade der Feierhalle. 

Über die Pfeilervorhalle des Haupteingangs konnten die Trauernden durch drei Flügeltüren direkt in die Feierhalle gelangen. Dort befand sich auch ein mit fließendem Wasser ausgestatteter Wandbrunnen aus poliertem Muschelkalk mit einem pagodenähnlichen Aufsatz. Der auf rechteckigem Grundriss stehende Zentralbau erschien in einer zurückhaltenden Farbigkeit von Naturfarbtönen, wie verschiedene Ockerfarben und Braun. Von künstlichen Lichtquellen im Soffittenkranz des Kuppelrings, künstlichen Lichtquellen in den stalaktitenartigen „Muqarnas“ und des Oberlichts wurde die Farbgebung allenfalls aufgelockert. Durch den ständig anders gerichteten Sonnenstrahleneinfall bekam der Innenraum ein sich veränderndes Licht- und Schattenspiel. Der Chorraum hinter dem Maßwerk wurde in gedämpfter roter Farbe gestaltet. Ein riesiger sechzehnzackiger Stern zierte den mehrfarbig gebänderten Linoleumfußboden und nahm die ursprüngliche Idee Hallers auf, den Stern in das Glasoberlicht einzuschreiben. 

Die Farbigkeit des Natursteins Travertin der Portale, des mächtigen Supraports mit dem eingeschriebenen, geometrischen Sternenmuster, und des darüber ruhenden Chormaßwerks beherrschte den Innenraum. Auch die Vermauerung der Blendarkaden an der Stirnseite zu den Friedhofsausgängen bot einen gefälligen Akzent. Türen und Heizkörper waren in Braun gestrichen, wobei die von der Halle abgehenden Türen aus Eichensperrholz gefertigt waren. Verchromte Türbeschläge und metallverkleidete Lampenaustattungen bildeten einen akzentreichen Kontrast zur Holzvertäfelung. Der südlich von der großen Halle gelegene kleine Saal bekam eine komplette Wandverkleidung aus profiliertem kaukasischen Nussbaumholz und war für kleine Feiern vorgesehen.

In beiden Aussegnungshallen waren die Sargräume durch Kurbelmechanismen verstellbare Schiebewände samt sogenannten Ritualschlitzen abgetrennt. Dadurch waren die Verstorbenen den Blicken der Trauernden entzogen. Durch ein Rautenmuster wurde der Gummifußboden des kleinen Saals farbig abgesetzt und rhythmisch gestaltet. Über seine Farbigkeit spekulierten sächsische Denkmalschutzexperten. Auch über die Farbigkeit des Linoleumfußbodens im großen Saal ist nichts bekannt. Wird beispielsweise der Innengestaltung der Leipziger Gedächtniskirche St. Bonifatius aus dem Jahr 1930 gefolgt, die einer ähnlich expressiven Farbgestaltung folgt und heute noch zu besichtigen ist, entsteht das Bild einer konzeptionellen Raumgestaltung in der die einzelnen Farben starke Kontraste setzen. Dasselbe könnte auch in der Leipziger Feierhalle verwirklicht worden sein. 

Als Konzentrationspunkt diente der mit Flechtmaßwerk verkleidete Chorraum. Das gotisch anmutende und expressionistisch überhöhte Maßwerk wird als Sichtschutz verstanden, weil beim jüdisch-orthodoxen Trauerritual keine Musik vorgesehen ist und der Raumzweck nicht sichtbar sein sollte. Trotz des Wissens über diesen Chorraum wurde er nicht als offene Sängerempore gestaltet. Fremde und Unbeteiligte mussten bei jüdischen Beerdigungen stets in großer Distanz zu dem Verstorbenen und dessen Verwandten stehen. Um diese Pietät zu wahren, wurde die Empore so verkleidet und befand sich von der Sargkammer abgetrennt darüber. Anstatt bei, von mehreren jüdischen Strömungen genutzten, Gemeinschaftssynagogen, die Orgel mit einem schwer anzubringenden Vorhang zu verdecken, verwendete Haller dieses Maßwerkgitter, in dem er die Spitzbogenformen der Blendarkadenstellung verarbeitete und mit Zackenbändern miteinander verband. Den dahinter befindlichen Chorraum ließ der Architekt in Rot ausschlagen, so dass hier mir der Naturfarbigkeit des Betons, bzw. Putzflächen samt seiner unverarbeiteten Oberfläche, dem natürlichen Lichteinfall, versteckten Lichtquellen in den Muqarnas sowie den farbigen Gummifußboden mit seinen expressiven Formen ein einzigartiger Raumeindruck entstand, der ganz in die damalige Moderne eingebettet war.

Haller griff auf Formen zurück, die in den Zwanziger Jahren von deutschen Architekten oft verwendet wurden. Wilhelm Kreis verwendete 1922/1924 mit seiner monumentalen, zackenartig ausgeführten und ineinander greifenden Bogenstellung des Maßwerk– abschlusses am Wilhelm-Marx-Hochhaus gotische Formen. Eine andere Lösung erfand bereits 1893 der Architekt Constantin Uhde, der ein arabeskenhaftes Muster in die beiden Turmfassaden der Wolfenbütteler Synagoge verarbeitete. Dominikus Böhm galt als Hauptvertreter der Strömung, die gotische und romanische Formen in die Architektur der Zwanziger Jahre verstärkt einführte. Die Verwendung von Zackenformen und -bänder, Spitzbögen und Maßwerk begründete sich in der Praxis, die Moderne mit Historischem zu verbinden. Diese Architektursprache hob sich von der Reduktion und Sachlichkeit Bauhaus und Neuem Bauen deutlich ab, findet aber Anknüpfungspunkte mit beiden Architekturrichtungen. Wilhelm Haller bediente sich beim Planen und Bau der Leipziger Feierhalle dieser Trends, die auch in Leipzig im Umlauf waren. Die architektonische Umgebungstemperatur des deutsch-jüdischen Architekten, der aus Breslau 1911 nach Leipzig kam und in der Messestadt 1919 eine nie verwirklichte Kriegerheimsiedlung in Probstheida plante und 1932 für die Planung zum Bau einer Mikwe auf dem Gelände der ebenfalls von den Nazis zerstörten Ez-Chaim-Synagoge zum letzten Mal auf deutschem Boden als Architekt in Erscheinung trat, schuf das in ihm das Vorhaben, in der White City von Tel Aviv in den Dreißigerjahren einen noch größeren Schritt hin zu einer internationalen Sprache in der Architektur zu wagen. Denn in Deutschland war er stark von der sogen. Darmstädter Schule geprägt, wo eine Gruppe von Architekten die Architektur in Deutschland reformierten und den Ausweg aus der historisierenden Sackgasse und der um 1900 noch grassierenden Redundanz aus Antike, Renaissance und Barock neue Formen und Ansichten entgegensetzten, ohne die Geschichte ganz zu verneinen.

Wer war Wilhelm Haller?

Wilhelm Haller wurde 1884 im polnischen Gliwice geboren, das in der Wilhelminischen Epoche noch zum Deutschen Reich gehörte und Gleiwitz hieß. Seine Eltern zogen mit ihm nach Reichenau in Sachsen, das heute Bogatynia heißt und ebenfalls in Polen liegt. Dort betrieb sein Vater ein Bekleidungsgeschäft. An der Zittauer Baugewerkeschule, an der TH Darmstadt und durch die Mitarbeit in renommierten Büros wie in Breslau, Frankfurt und Leipzig bildete Wilhelm Haller sich zum Architekten aus. Ab 1911 arbeitete er in Leipzig, wo er 1914 ein eigenes Büro einrichtete. Ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg heiratete Haller in Frankfurt am Main Clara Goldschmidt (1888-1945). Sein Sohn Hans J. Haller (1913 – 2004 ging aus der Ehe hervor. Während seiner Zeit in Leipzig blieb Haller der Bauschule in Zittau als Vorsitzender eines Vereins ehemaliger Schüler und Herausgeber der „Vereinsnachrichten des Altherrenbundes der Zittauer Bauhütte“ verbunden. In diesem Blatt veröffentlichte er während des Ersten Weltkriegs mehrere patriotische Artikel. Er schrieb auch für das „Zittauer Morgenblatt“ mehrere Artikel. 

Nach dem Ersten Weltkrieg trat Haller als Baumeister jüdischer Ritualbauten hervor. Dass er im ausgehenden 1. Weltkrieg und frühen Weimarer Republik von den ideologisch geprägten und reichsweit angeregten Siedlungsbauprogrammen für invalide Kriegsheimkehrer und deren Angehörige profitieren konnte, ist weniger geläufig. In Coburg und Stendal errichtete er Siedlungen, die zum Teil in Veröffentlichungen Niederschlag fanden. Dass er auch für Leipzig im Jahr 1917 eine großzügig angelegte Reihenhaussiedlung nordöstlich der heutigen Leinesiedlung in Leipzig-Probstheida plante, war bisher unbeachtet. Sie fand weder in Hallers eigene Angaben zu seinem Werk noch in die 1930 von Max Reimann über ihn veröffentlichte Monographie Eingang. Für eine solche Siedlung existieren im Leipziger Stadtarchiv Pläne aus dem Jahr 1919 sowie Artikel über die Entwürfe und Planungen von Walter Mackowsky und Haller selbst aus den Jahren 1918 und 1921. 

Als Architekt und Vorstandsmitglied der Leipziger Kriegerheimstätten GmbH entwarf der Architekt Bebauungspläne für ein Gebiet südlich des Südfriedhofes und westlich der damaligen Heilanstalt Dösen in Leipzig-Probstheida. Aufgrund der Tagebauvergrößerung durch die Leipzig-Dölitzer Kohlenwerke verwarf die Stadt Leipzig diese Pläne, die vom Rat der Stadt zudem als zu unwirtschaftlich angesehen wurden. So verschwand das Projekt zunächst in die Schubladen der Stadt Leipzig, dann im Stadtarchiv. Aber in den Fragen des Siedlungsbaues galt Haller in der Stadtverwaltung als Experte, wie es auch aus den Quellen hervorgeht. 

Noch zu Beginn der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, als er sein Leipziger Hauptwerk, die 1938 zerstörte Trauerhalle des jüdischen Friedhofs an der Delitzscher Straße, bereits vollendet hatte, befasste Haller sich mit Wohnhausbau für sozial Benachteiligte. Dies belegt ein Artikel über einen bemerkenswerten Wettbewerb um „Die Stadtrandsiedlung“. Haller berichtete über den 1931 von der Stadt Leipzig ausgeschriebenen Wettbewerb, an dem er selbst offenbar nicht beteiligt war. Ähnlich wie bei den „Kriegersiedlungen“ ging es darum, mit einfachsten Mitteln Wohnraum zu schaffen, der mit Nutzgärten eine gewisse Selbstversorgung der Bewohner ermöglichen sollte. 

Die wirtschaftliche Krise am Ende der Weimarer Zeit zwang auch ihn in die Knie. Erst die drohende Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zwang Haller zur Auswanderung nach Palästina, wo er 1932 oder 1933 in Tel Aviv sein Büro eröffnete. Bis Ende der dreißiger Jahre wirkte er am Bau der „White City“ mit der Planung verschiedener Wohnhäuser mit. Ihm und anderen Architekten der White City wird unterstellt, sie hätten einen Bauhaus-Stil für die Stadt entwickelt und umgesetzt. Das stimmt nicht. Bauhaus-Mitgründer und -Apologet Walter Gropius hat Bauhaus nie als Stilbegriff verstanden. Die wenigsten Architekten, die an der White City mitwirkten, hatten am Bauhaus studiert. Die stilistische Vielfalt, die in der White City verbaut wurde, bildet so ziemlich all das ab, was vor 80 bis 90 Jahren als moderne Architektur verstanden wurde – individuell und von klassischer Schönheit. Unterschiedliche Architekten haben am Anfang des 20. Jahrhunderts – sicherlich auch beeinflusst von den Sezessionsbewegungen ausgehend der Arts&Crafts-Strömung – ganz eigene Stile entwickelt. So bildet auch die Wolverhampton Civic Hall der Architekten E. D. Lyons and L. Israel so ziemlich genau das ab, was damals unter klassischer Moderne vertsanden wurde. Klassische Elemente und Architektur werden drastisch um seine Ornamentik reduziert. Sie tritt mittels verwendetem Material und seines Einsatzes stärker zutage. In diesem Zusammenhang ist auch das Werk von Wilhelm Haller zu verstehen. Auch er wandte sich vom reformstilbeeinflussten Heimatstil seiner Siedlungsbauwerke in seinem Frühwerk ab, monumentalisierte und vereinfachte in seinem Mittelwerk, worunter Kirchenentwürfe und jüdische Sakralbauwerke fallen, alles Ornamentale, um schließlich diese Ornamentik gänzlich zu reduzieren.

Als die Entwicklung von Tel Aviv ins Stocken geriet, schloss Haller sein Büro und wechselte in das Public Works Department, die öffentliche Bauverwaltung von Jerusalem. 1956 verstarb er nach zwei Ehen im Kreis seiner Familie. Er lebte in kargen Verhältnissen. Sein Werk ist in der Geschichte auseinander gefallen.

Teile dieses Beitrages wurden bereits in meiner Magisterarbeit „Die Feierhalle auf dem Neuen israelitischen friedhof Leipzig – Ein Bau von Wilhelm Haller“ für wissenschaftliche Zwecke 2006 am Institut für Kunstgeschichte zur Einsicht veröffentlicht bzw. wurden als Beiträge und Exzerpte der Magisterarbeit in der Leipziger Zeitung 2015, in den Sächsischen Biografien 2017, Allgemeinen Künstlerlexikon 2010/11, Brockhaus / Meyers Lexikon 2007, Wikipedia 2007 durch mich veröffentlicht. 

Das Plagiieren der Arbeit oder ihrer Exzerpte unterstehen dem deutschen Urheberrecht. Rechtliche Schritte gegen Plagiierer bei Nachweis einer Kopie meiner Arbeiten ohne sie zu zitieren werden vorbehalten.

Beitragsfoto: Wilhelm Hallers Modellentwurf für die Neue Feierhalle auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Leipzig von 1925, ersch. im Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig von 1925. (Foto: Artefakte 2018)

Ein echter Neuanfang – Wie Bauhaus unser Leben veränderte

Von Daniel Thalheim

 

2019 ist Bauhaus-Jahr. Über die Kunstgewerbeschule, die sich in Dessau, Weimar und zuletzt in Berlin befand wird in diesem Jah viel geschrieben und veröffentlicht. Eines der krönenden Abschlüsse wird die am Museum der bildenden Künste stattfindende Ausstellung über den verschollen geglaubten Nachlass des Leipziger Bauhaus-Künstlers Karl Hermann Trinkaus sein. Er ist längst nicht der einzige und letzte verloren geglaubte Abkömmling der Schule, die heute als stilbildend für die Moderne des 20. Jahrhunderts begriffen wird.

 

Ans Licht geholt – Der wiederentdeckte Bauhaus-Künstler Karl Hermann Trinkaus

Es gibt Menschen, deren Geschichten erst Jahre nach ihrem Ableben an die Öffentlichkeit gelangen. Plötzlich wird einem bewusst, wie wichtig, wie stark oder auch wie schwach sie gewesen sind und wie sie das gesellschaftliche Leben Leipzig einst prägten. So eine Biografie kam von dem Leipziger Bauhaus-Künstler Karl Hermann Trinkaus ans Licht. Die Umstände seiner Wiederentdeckung erzählen wiederum von anderen Schicksalen. Das Museum der bildenden Künste nimmt sich dem 1965 verstorbenen Grafiker an und will im November 2019 eine Ausstellung über ihn veranstalten udn einen Ausstellungskatalog dazu veröffentlichen.

Karl Hermann Trinkaus (*18.04.1904 Leipzig, † 25.12.1965) gehört nicht unbedingt zu den Bauhaus-Künstlern, die man in einem Atemzug mit Laszlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Josef Albers und Wassily Kandinsky nennt. Der Leipziger Grafiker und Collagist führte zeitlebens eher ein unauffälliges Leben, wenn er auch – mit Unterbrechungen – stets künstlerisch tätig war. Zu seinen Lebzeiten blieben Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen aus – und damit auch die nötige Anerkennung für seine Kunst. Zeitgenössische Schriften und Artikel über sein Werk schlugen sich während seines Schaffens nicht nieder. Karl Hermann Trinkaus war bis zur Bauhaus-Ausstellung 2009 im New Yorker Museum Of Modern Art, wo eine seiner Arbeiten zusammen mit anderen Arbeiten weiterer Bauhauskünstler gezeigt wurde, unsichtbar. In Leipzig-Dölitz schlummerte über 50 Jahre lang unterdessen sein Nachlass, zumindest das was davon übrig blieb, einen Dornröschenschlaf. Über 200 seiner Arbeiten wurden 2017 von der Erbgemeinschaft in einen Werkkatalog zusammen gefasst. Zuvor wogte ein Hin und Her über die Echtheit des künstlerischen Nachlasses durch den Online-Blätterwald und Rechtsanwaltstuben. Eine lückenlose Provenienz entkräftet jedoch die in den Raum gestellte Behauptung einer Berliner Kunsthistorikerin, dass einige an internationalen Kunstauktionshäuser angebotenen Collagen Fälschungen seien. Fast schon wie die unbestrittene Provenienz der Werke zu untermauern wird – anlässlich auch des Bauhaus-Jubiläums 2019 zu Trinkaus’ Nachlass im Museum der bildenden Künste in Leipzig eine Ausstellung vorbereitet, wobei auch die ausgestellten Arbeiten auf ihre Materialechtheit überprüft werden. Die Erben des Trinkaus-Nachlasses können aufatmen. Denn einen Teil des Nachlasses wollen sie Auktionshäusern anbieten, verkaufen können sie aber nichts. Es gibt keine Angebote dafür. Der Grund: zwei Beiträge zweier großer Nachrichtenportale verbreiten seit 2013 und 2015 die Information, dass Trinkaus-Collagen laut Einschätzung einer Berliner Kunsthistorikerin womöglich Fälschungen sein könnten. Angeblich sei der Bauhaus-Stempel, den Trinkaus als Schüler am Bauhaus Dessau zwischen 1927 und 1928 nutzte, nicht fälschungssicher. Außerdem hätte sich seine Signatur über die Jahre geändert. Ihr Urteil stützt sich lediglich auf das Sichten von Online-Bildern, heißt es hingegen von den Erben. Sie habe nie die Originalcollagen und -zeichnungen in ihren Händen gehalten. Die Erben wollen mit dem Verkauf einiger Arbeiten aus dem Nachlass die Anwalts- und Verfahrenskosten ausgleichen, die während des jahrelangen Streits mit der Berliner Kunsthistorikerin entstanden sind. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme. Vom Ärger mit den daraus folgenden Untersuchungen des Berliner Landeskriminalamts ganz zu schweigen, heißt es von den Erben weiter, die nicht öffentlich genannt werden wollen. Erst mit der Ausstellung im MdBK würde, so hoffen die Erben, die Reputation des Trinkaus-Nachlasses wieder hergestellt. 2017 wurden 35 künstlerische Arbeiten aus dem Nachlass durch die Erben der Bauhaus-Stiftung in Dessau übergeben. 

 

Von Missverständnissen und historischen Einordnungen

Heute wird viel geschrieben, wenn es um moderne Architektur geht. Besonders diffus wird es dann, wenn moderne Architektur wie sie in der White City in Tel Aviv in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts verwirklicht wurde, als „Bauhaus“ bezeichnet wird, wie derzeit wieder bei der Wiederveröffentlichung des Ausstellungskatalogs über den deutsch-jüdischen Architekt Wilhelm Haller. Wenngleich er nie am Bauhaus Student war und sich eher ablehnend der rigoros umgesetzten Architektur äußerte. Er und andere Architekten, die in Tel Aviv unter der Planung vom ex-Bauhäusler Arieh Sharon, Wohnhäuser errichteten, galten als Vertreter ihrer eigenen Theorie. Anfang der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts galt die individuelle Architektursprache eines Architekten mehr als seinen Ausdruck einer Schule zu verpflichten. Im Fall von Wilhelm Haller gestaltet sich die Einordnung wesentlich einfacher, ihn unter der großen Strömung der deutschen Reformarchitektur einzuordnen. Innerhalb dieser Strömung tauchten unterschiedliche Positionen auf, die mal mehr mal weniger „international“ auftraten, modische Trends aufgriffen, oder auch verneinten. Tendenzen, das Bauen zu „mechanisieren“ und „entindividualisieren“ gab es aber auch schon damals. Doch es ist grundsätzlich falsch, damalige und heutige moderne Architektur des 21. Jahrhunderts als „Bauhaus“ zu bezeichnen, auch wenn sie anscheinend so aussieht. Denn die Lehrer am Bauhaus verstanden ihre Schule nicht als stilbildend für eine Bewegung. Deswegen eignet sich Bauhaus nicht als Stilbegriff des 20. Jahrhunderts, steht aber als großer Einfluss unter vielen Pate für das, was wir im Design und in der Architektur nach dem 2. Weltkrieg weltweit beobachten können und sich wie ein roter Faden ins Hier und Jetzt zieht.

Ein anderes Missverständnis ist, dass alle Abkömmlinge des Bauhaus als Künstler und Kunsthandwerker arbeiteten und ausstellten. Im Fall des Leipziger Bauhaus-Künstlers Karl Hermann Trinkaus zeigt sich, dass er nach seinem Studium in Dessau Flugzeugkonstrukteur in den Junckers-Werken wurde. Trinkaus war technischer Zeichner. Durch seinen handwerklichen Hintergrund – Trinkaus übte vor seinem Eintritt ins Bauhaus den Beruf des Elektrikers aus – lag ihm das technische Zeichnen nahe. Künstlerisch war er weiterhin tätig und schuf in verschiedenen Perioden immer wieder Reihen von Collagen und Aquarellen, sogar ein Möbelstück ist von ihm aus seiner Hand bekannt. Ausgestellt wurden sie zeitlebens nie.

 

Der ultimative Schmöker zum Jubiläum: Bauhaus 1919 – 1933 – Bauhausarchiv Berlin von Magdalena Droste

 

Bauhaus 1919 - 1933 von Magdalena Droste ist als vollständig überarbeitete Fassung bei TASCHEN neu erschienen.
Bauhaus 1919 – 1933 von Magdalena Droste ist als vollständig überarbeitete Fassung bei TASCHEN neu erschienen.

Immer noch aktuell und informativ ist die Wiederveröffentlichung des mittlerweile zum Standwerk zum „Bauhaus“ avancierte Buch „Bauhaus 1919 – 1933“ von Magdalena Droste. Die inzwischen emeritierte Professorin des Cottbuser Lehrstuhls für Kunstgeschichte hat sich zeitlebens mit dem Bauhaus beschäftigt. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse sind in dem wunderbaren Band eingeflossen und zusammengefasst. Von den aufregenden Anfängen in Dessau, den Konflikten in der Professorenschaft, die Politisierung am Bauhaus und dem langsamen Sterben erzählt dieses Werk in einer spannenden Abfolge der Ereignisse. Tiefe Einschnitte unternimmt sie, wenn es um die einzelnen Fachklassen geht und wie stark diese Einflüsse aus den Klassenzimmern in die Welt getragen wurde. Sie geht auf das Wirken der großen Schaffenden wie Itten, Moholy-Nagy, Gropius, Kandinsky und Klee ein, wirft auch Einblicke in die Textilwerkstatt, pickt Konflikte heraus, wie auch am Bauhaus Politik gemacht wurde und wie es um das Bauhaus in Weimar politisch bestellt war. „Bauhaus 1919 – 1933“ ist mehr als nur eine Skizze, es ist und bleibt das Standardwerk, wer sich über die Kunst und die Kunstschaffenden dieser aufregenden Periode einen Überblick verschaffen will. Dass in den folgenden Jahren immer mehr Details ans Licht kommen, nun langsam die Schülerinnen und Schüler der Bauhaus-Gründer in den Fokus rücken, steht auf einem anderen Blatt. Interessant ist Drostes Beobachtung, dass – anders die Entwicklung im Reformdesign und in der Reformarchitektur – Bauhaus mit Traditionen bricht, bzw. folkloristische Traditionen internationaler Art aufnimmt und zu ganz neuen individuellen Kanons weiterführt und unter die Menschen trägt. Auch wenn es manchmal so scheint, dass ein schwedisches Möbelhaus eine Fortsetzung des Bauhauses mit anderen Mitteln sei, aber bei näherer Betrachtung es doch nicht ist.

 

Bauhaus 1919 – 1933 von Magdalena Droste im Onlineshop von TASCHEN

 

Der neue Mensch – K.H. Trinkaus‘ Leipziger Nachlass im Fokus

Im November, pünktlich zur Werkschau des Bauhaus-Künstlers im Museum der bildenden Künste Leipzig, erschien unter Mitbeteiligung des Artefakte-Gründers, Historikers und Kunsthistorikers Daniel Thalheim, ein Werkkatalog mit der penibel recherchierten Biografie des Künstlers. Daniel Thalheim stellt Trinkaus‘ Konflikt mit den Beschlüssen des XX. Parteitags der KPdSU sowie mit seinem damaligen Arbeitgeber, dem Dimitroff-Museum, heraus, wo Stalin als Person und Kult verdammt und auf dem Müllhaufen der Geschichte landete.

Der neue Mensch, Trinkaus in kritischem Licht (Copyright: VfmK 2019)
Der neue Mensch, Trinkaus in kritischem Licht (Copyright: VfmK 2019)

Trinkaus, selbst sich als Stalinist und beinharter Kommunist darstellend, aber als Mitarbeiter der Dessauer Junckerswerke wohl – in Querrecherche zu Familiengeschichte des Verfassers – der NSDAP angehörig und ahnenpasspflichtig, hinterließ mit seinem Freitod einen künstlerischen Nachlass, der erst in den letzten zehn Jahren durch das unermüdliche Treiben der Erben langsam ans Licht geholt wurde und mit Hilfe der Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig zwischen Mitte November 2019 und Mitte Februar 2020 Eingang in die kunstwissenschaftliche Beschäftigung fand. Thalheim zeichnet anhand von Quellen und aktueller Literaturlage nach, welche Brüche Trinkaus in seinem Leben erfuhr. Daran anknüpfend zeichnen die Mitautoren Fabian Müller und Andrew Hurttig sein künstlerisches Werk nach, analysieren profund seine herausragende Arbeiten im Querschnitt von Bauhaus und Dada, vermögen das Gesamtwerk des Leipzigers in die Klassische Moderne einzuordnen. Durch das Buch erfahren wir im Subtext v.a., dass Parteizugehörigkeiten in vom frühen bis Mitte des 20. Jahrhunderts eher (über-) lebensnotwendig waren bzw. nicht den Mittäter- und Mitläufergedanken in sich tragen müssen. Zu verzwickt sind die Lebenswege, zu wenig bedeutend die Einlassungen, die Trinkaus politisch auf sich genommen hatte, sei es in der KPD, während 1933-45 und noch später in der SED. Als politischer Agitator hat er sich zuletzt beruflich verstanden. Betrachtet man sein Alterswerk, wird klar, dass er sich in die innere Emigration zurückzog.

Karl Hermann Trinkaus – Der neue Mensch ist seit November 2019 im Handel. Das Buch können Sie direkt im Onlineshop des Verlags für moderne Kunst erwerben.

Beitragsbild: Walter Gropius: Bauhaus building in Dessau, 1925/26. View of the Bauhaus building from the southwest, workshop wing. (Copyright: Bauhaus-Archiv, Berlin ((inv. 5993/3); photo: Atlantis-Foto)

In Licht getaucht – Ein Fotograf entdeckt die White City neu

Weltkulturerbe White City in einem neuen und aufregenden Bildband von Yigal Gawze (Foto: Yigal Gawze, Hirmer Verlag Presse 2018)
Weltkulturerbe White City in einem neuen und aufregenden Bildband von Yigal Gawze (Foto: Yigal Gawze, Hirmer Verlag Presse 2018)

Von Daniel Thalheim

Warum die White City so einzigartig ist

Der Architekt Arieh Sharon plante eine Stadt auf dem Reißbrett. Als Palästina noch nicht Israel war, sollte die White City von Tel Aviv für einen Aufbruch stehen. Aus Europa kamen Architekten in diese Gegend und entwarfen Privathäuser im Sinne des Neuen Bauens. Sharon, der nach seiner Emigration nach Palästina 1920 nach Deutschland zurück kehrte, nur um von 1926 bis 1929 an der Bauhaus-Universität in Dessau zu studieren und so jüdische Tradition mit neuen architekturreformerischen Ideen in Form und Design verknüpfen konnte als er 1931 begann, konkret an der White City mitzuarbeiten. Er, und andere Architekten, entwickelte selbst eine schlichte Architektursprache aus den sogenannten Kibbutzbauten, die für den Aufbruch des europäischen Judentums im Heiligen Land stehen sollte: weiß verputzte Flächen, schlichtes, bauschmuckloses Äußeres, geschwungene bzw. eckige Formen, die Verwendung von schlichten Materialien von Glas, Stein, Metallen und Holz und ihrer Verarbeitung zu Fenstern, Loggien, Balkonen, Handläufen und Geländers zu einem organischen Miteinander innerhalb eines Baukörpers. 

Form and Light – From Bauhaus to Tel Aviv

Der Hirmer Verlag veröffentlichte im November 2018 einen neuen Bildband über die White City (Foto: Hirmer Verlag Presse 2018)
Der Hirmer Verlag veröffentlichte im November 2018 einen neuen Bildband über die White City (Foto: Hirmer Verlag Presse 2018)

Viel steht über Architekten wie u.a. Ram und Dov Karmi, Yeshajahu Ilan, Sigmund Kerekes, Wilhelm Zeèv Haller und Arieh Sharon geschrieben. Doch Architektur durch die Linse eines Fotografen erlebt, der frisch sanierten Häuser der White City ablichtete, ist doch schon ein „Flashback“ als die Architektur der Dreißigerjahre noch frisch war. Das Weiße, das Licht ist nach Jahrzehnten der Verschmutzungen und auch der Verluste in die White City zurück gekehrt. Denn mit dem Projekt „Netzwerk Weiße Stadt Tel Aviv“ unterstützt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit den Aufbau eines Zentrums für denkmalgerechtes Bauen in Tel Aviv. Weil mit dem Projekt auch versucht wird, durch Vermittlung bautechnischer und handwerklicher Kompetenzen eine denkmalpflegerische Sanierung der White City umzusetzen, wird das UNESCO-Weltkulturerbe in Bälde wieder im neuen Glanz erstrahlen. Doch schon Anfang der Neunzigerjahre wurde die Sanierung der Gebäude vorangetrieben, die als Inkunabeln des Internationalen Stils gelten und heute noch als Vorbild für Wohn- und Geschäftsbauten weltweit dienen. So beschreibt es der Fotograf Yigal Gawze in seinem Fotoband „Form and Light“. Er studierte die Bauwerke durch den Fokus seiner Kamera, ergründete die Formensprache, das verbaute Material, die Farbigkeit. So erfühlt er mit seinen Fotografien das, was den Architekten so wichtig war als sie die Bauten planten und errichten ließen: Schlichtheit und Größe. 

Sein Beitrag und die Texte von Michael Jacobson und Gilad Ophier zum Internationalen Stil, zur White City und zum Neues Bauen flankieren die ästhetischen Fotografien, die das elegante und heute noch moderne Design dieser einzigartigen Gebäude aufspüren. Die Fotografien enthüllen die atemberaubende Formensprache und stellen sie in ein neues Licht.

Yigal Gawze, Gilad Ophier und Michael Jacobson – Form and Light – From Bauhaus to Tel Aviv

Beiträge von Y. Gawze, G. Ophir, M. Jacobson

Text: Deutsch / Englisch

120 Seiten, 100 Abbildungen in Farbe

24,1 x 27,9 cm, gebunden

ISBN: 978-3-7774-3099-8