Von Daniel Thalheim
Er studierte bei Sigmar Polke und Claus Böhmler, sorgte 1978 für einen kleinen Skandal und gestaltete für den Kölner Taschen Verlag einen Fliesenboden. Der zu den „neuen Wilden“ zugerechnete Künstler gilt als Protagonist des Neo-Expressionismus. Sein multimediales Werk erhält nun eine umfangreiche Würdigung – vom Taschen Verlag selbst.
Das Spike Art Magazin schreibt zu ihm, er setze die Malerei einem Stresstest aus. Seine skizzenhaften, oft an Aquarellmalerei erinnernden, Bilder zeigen Porträts und vermeintlich banale Situationen. Banal ist es nicht wie der Maler mit dem Medium Farbe umgeht. Es scheint, dass für Oehlen Malerei immer eine Grenzerfahrung ist, in der er sich immer neu entdeckt. Oft lassen die Werke einen mit einem Fragezeichen zurück. „Es ist für mich ein Normalzustand, dass man etwas nicht versteht“, sagte er gegenüber der Welt.
Als in der ungegenständlich-abstrakte Malerei in der Bonner Republik eigentlich Ende der Siebzigerjahre alles erzählt war, führte Oehlen diese Kunstrichtung zurück zu neuer Form. Der abstrakte Expressionismus US-amerikanischer Prägung ist für ihn ebenso ein Zuhause als auch der Expressionismus der „alten Schule“, wie wir ihn von Malern wie Carl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Erich Heckel und Max Pechstein kennen – der Vorkriegs- bzw. Nachkriegsgeneration von deutschen Künstlern, die sich vom Akademismus und den dort vertretenen Idealtypus vom Menschen nicht vertreten sehen wollten und die radikalste Reformbewegung bis dato bildeten.
Wie sie krempelte Oehlen mit seinen Arbeiten die eingeschliffenen Wertmaßstäbe und Ästhetikempfindungen um, wie die Zeit 2015 in dem Beitrag „Selbstporträt mit verschissener Unterhose“ Oehlens Werkwirken zusammenfasste, und zugleich die Wechselwirkung der Kunst mit der Gesellschaft hinterfragt und zugleich vor dem Kopf stößt. Dass er erst 2015 mit einer großen Werkschau in den USA beehrt wurde und nicht früher, macht stutzig. Denn sein Werk steht in keiner Weise dem von Willem de Kooning und Jean-Michel Basquiat nach.
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Deutsch
Mehr auf ZEIT
Ein Beitrag zu Albert Oehlen in der WELT
Das Spike Art Magazin beschäftigt sich ebenfalls mit Albert Oehlen
Englisch
Ein Review auf The New Yorker
Review Oehlens Ausstellung in The New York Times
Albert Oehlen – die Retrospektive in einem Buch
Die Reise beginnt mit seinem Frühwerk in den Siebzigerjahren. Von Hamburg aus eroberte Oehlen die Kunstwelt und prägte mit seinem Werk – wie auch damals u.a. Jörg Immendorff – das künstlerische Gesicht der Bonner Republik. Albert Oehlens Werk ist geprägt vom Suchen nach Form und Ausdruck. Von der reinen Farbe fand er zum Objekt, zur Installation, eigentlich zur Raum-Collage, einem Mix aus Fotos, Objekten und Malerei. Klarheit und Unklarheit werden in seinen Bildern gegenübergestellt.
Die Monografie spürt im Detail nach, um was es Oehlen geht, bzw. was wir in seinem Werk sehen sollen, aber nicht erwarten dürfen. So geht Co-Autor John Corbett in einem Interview dem Ansinnen des Künstlers nach, warum er die „bionische Malerei“ betrieb, was ihn dazu führte, Computerbilder anzufertigen und was er darunter versteht. Was wir aber sehen können, dass Oehlen verwirren kann; mal bewegt sich sein Schaffen im Räumlichen, mal im Unräumlichen. Die Raumwirkung wird stets erzielt. Mal haben die Bilder eine farbliche Sprengkraft sondersgleichen, mal sind sie grau, vernebelt, eingetrübt. Farbe wird bei ihm zur Raumkunst, sei es in der Malerei, in der Collage, in der Grafik und Zeichnung. Die Befreiung der Farbe von der Form ist die logische Weiterführung des Expressionismus der Zwischenkriegsjahre. Oehlen nähert sich in vielen Bildern dem Informel. Er bleibt im Gegenständlichen zuhause, wenn er auch bei der Form- und Raumaufhebung in seinen Bildern bleibt.
Was dieses Buch im Subtext vor Augen führt, ist die Trennlinie zwischen BRD und DDR und ihren Folgen. Während heute in bspw. Leipzig die gegenständliche Malerei zum Hohelied geführt wird, haben wir es in den künstlerischen Zentren in Hamburg, Düsseldorf und Köln mit einem international gefassteren Kunstbegriff zu tun.
Die Monografie ist eine Empfehlung für alle, die sich mit der Kunst in der Bonner Republik vertiefend befassen möchten und wissen wollen, welche Entwicklungslinien neben Emil Schumacher, Jörg Immendorff, Gerhard Richter, Sigmar Polke u.a. noch eingeschlagen wurden.
Albert Oehlen, Roberto Ohrt, John Corbett, Martin Prinzhorn, Alexander Klar, Hans Werner Holzwarth
Hardcover, 25 x 33,4 cm, 496 Seiten
60 EUR