Im Fehler liegt die Kunst – Medienkünstlerin Mimi Vanderhoff verfremdet Bits & Bytes

Mimi Vanderhoff, Lucky Look, Digi Art, 2016.

Seit Jahren wird von einem Trend in der Kunst gesprochen. Glitch Art heißt der handwerkliche Kniff, aus Software-Fehlern von Kameras, Receivern, Fernsehern und Smartphones etwas künstlerisches zu machen. manchmal hilft der Zufall nach, manchmal der Künstler. In Leipzig scheint das Werkeln mit dem Fehler auch Fuß zu fassen.

Die Kunst der Zwischentöne

„Statt des Pinsels schwinge ich die Maus.“ Mimi Vanderhoff entdeckte vor Jahren als Mediengestalterin die Kunst am Computer. Für sie ist der PC mehr als nur ein Arbeitsmittel – er ist auch Werkstoff und öffentlicher Raum. Mit dem Computer gestaltet sie Bilder, die sie Online ausstellt. Das hört sich zunächst banal an, ist es aber nicht.

Früh entdeckte sie, dass gerade der Zufall sehr interessante Bilder hervorbringen kann. „Ohne Fehler keine Kunst“, sagt sie lachend. Ihr sei durchaus bewusst, dass die Kunst für Jedermann, wie sie sagt, durchaus auch als beliebig und „minderwertig“ angesehen wird. Dabei nutzt sie, wie viele andere tausende Künstler vor den Bildschirmen, neue Werkzeuge anstelle von Palette, Pinsel und Farbe. Mithilfe eines Fotoapparates fing die Künstlerin verpixelte und farbig auseinanderfallende Bilder eines defekten TV-Receivers am Fernsehbildschirm ein. So entstanden abstrakte Momentaufnahmen. Bald änderte sich ihr Anspruch. Als Medienkünstlerin wollte sie aber nichts dem Zufall überlassen. Bald arbeitete sie gezielt mit den Effekten, die die digitale Welt ausspuckt, griff in die Motive ein und schuf ganz neue Arbeiten. „Es gibt verschiedene Wege, die zur Kunst führen“, sagt sie und weist auf die mannigfaltigen Techniken hin, die die Medienwelt bereit hält, um daraus etwas künstlerisches schaffen zu können.

Mimi Vanderhoff, Lucky Look, Digi Art, 2016.
Mimi Vanderhoff, Lucky Look, Digi Art, 2016.

Ein frisches Medium

Dass die Künstlerin etwas kreierte, was anderswo „Glitch Art“ genannt wird, ist ihr erst durch einen TV-Beitrag bewusst geworden. Im Internet entdeckte sie, wie mannigfaltig diese Art des Kunstschaffens ist und konnte so ihre eigenen Techniken verfeinern und erweitern. Sie erfuhr durch ihre weitere Beschäftigung mit dem als Trend bezeichneten Kunstgriff auch, dass „Glitch Art“ seine frühen Wurzeln in der Entstehung der Fotografie und des Film im frühen 20. Jahrhundert hat. Auch in der Musik wird „ge-glitcht“. Im übertragenen Sinn hat das britische Elektro-Duo Autechre bereits um 1990 mit Aufnahme- und Verfremdungstechniken gearbeitet, die Töne auseinanderfallen, aber neu zusammen gepuzzelt, ganz neue Zwischentöne zum Vorschein kommen ließen. Als Trend sieht sie den Umgang mit digitalen Bildern, wie ihre es sind, nicht. „Glitch, bzw. Digi Art ist für mich schon eine Kunstgattung, wie Malerei oder Grafik“, betont sie. „Auch für meine Arbeiten benötige ich handwerkliches Geschick, wie man es bspw. von einem Maler abverlangen würde. Nur mit dem Unterschied, dass Computerkunst ein – verglichen mit Ölmalerei und Radierung – ein noch recht frisches Medium ist.“

Sie fügt hinzu, dass ihre Kunst – im Gegensatz zu ihrer Arbeitsweise vor drei Jahren – sich weiterentwickelt hat. Sie bildet  viel stärker in ihren Bildern Räume und Geschichten heraus, und lässt so die Ästhetik, anders als bei der Glitch Art,  nicht frei laufen laufen. Und irgendwie, so meint die Künstlerin, sei Glitch Art im Prinzip das, was Künstler wie Andy Warhol und Josef Beuys schon früher gesagt haben: Kunst kann jeder machen. Im Zeitalter der digitalen Revolution sei dies nun endlich möglich. Der Weg zum Drucker sei auch nicht weit, sagt sie abschließend. Haptik sei trotz der digitalen Medien nicht vorbei. Im Gegenteil: unser Sehen und Begreifen der Umwelt würden durch moderne Bildmedien eher erweitert. Dass dies schon andere Künstler so begriffen hätten, zeigen Arbeiten von Gerhard Richter, Marc Lüders und Daniel Richter.

Glitch – Herkunft und Zukunft

Aus einer technischen Panne wird Kunst. Der Begriff „Glitch“ wurde 1962 vom US-amerikanischen Raumfahrer John Glenn im Zusammenhang mit elektrischen Spannungsänderungen in die Welt gesetzt. In der Medienkunst tauchten Pannen in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf. Jamie Fenton und Paul Zaritsky arbeiteten mit Audioverfremdungen in einem Video namens „Digital TV Dinner“ von 1978. Doch schon 1935 soll es eine Farbbox gegeben haben, die Farben verfremden konnte. So zumindest stellte es Rosa Menkman in ihrem „Glitch Studies Manifest“ dar. Pannenbilder sind also keine Seltenheit oder eine zufällige Spielart. Schon früh beschäftigten sich Künstler wie Len Lye, Nam June Paik und Cory Archangel mit dem digitalen oder auch mechanischen Rauschen in den Bildern.

Im musikalischen Bereich steht „Glitch“ für experimentellen Lärm. Musikprojekte wie Autechre und Aphex Twin sind die namhaftesten unter den Experimentalmusikern, die mit elektronischen Verfremdungen arbeiten. In der Bildenden Kunst wurde die digitale Panne seit den Neunziger Jahren vermehrt in den Fokus verschiedener künstlerischer Arbeiten gerückt. Das führte zu Konferenzen, Workshops, Vorträge, Podiumsdiskussionen und Performances – und natürlich mit der zunehmenden Digitalisierung der privaten Welt durch Smartphones, Tablets und Computerprogrammen zu einer Flut von Glitch Art. Das bewusste Verändern von elektronischen Informationen wird mithilfe von Computerprogrammen oder durch mechanische Einwirkung auf Festplatten unternommen und „data bending“ genannt. Auch das Eingreifen in Bildinformationen zählt unter „Glitch“, wenn im RichText die Rohdaten durch den Künstler manipuliert und verändert werden. Ziel ist es, das ursprüngliche Bild so stark zu verfremden, das daraus etwas Neues entsteht.

Auf Portalen wie „Artflakes“ kann man u.a. Glitch-Art-Werke entdecken. Die Arbeit am Computer macht es einfach, die eigne Kunst mit Hilfe von Verkaufsportalen zu vermarkten. Das klassische Ausstellungsprinzip einer Galerie wird so ins Internet verschoben. Zwar verlieren durch die unendliche Vervielfältigungen von Kunstwerken die Arbeiten ihre Einmaligkeit, aber nur so können die Künstler ihre Bilder direkt an die Käufer bringen. Diese Art der Vermarktung könnte so auch für klassisch arbeitende Künstler und Galerien eine Zukunft bedeuten und so für niedrige Preise klassische Grafiken und Gemälde als Posterdrucke an Mann und Frau zu bringen und vielleicht Interesse für traditionell hergestellte Kunstwerke zu wecken. Für Glitch-Art-Bilder könnte der umgekehrte Weg in die Galerie auch eine Beschäftigung der Künstler mit den traditionellen Techniken bedeuten. So könnte eine neue künstlerische Technik althergebrachte Herangehensweisen befruchten.

 

Hier geht es zur Webseite und zum Webshop von Mimi Vanderhoff

Autor: Daniel Thalheim

Artefakte - Das Journal für Baukultur und Kunst, und sein regionaler Ableger für Leipzig, ist aus fachwissenschaftlichen Interessen in den Bereichen Architektur- und Kunstgeschichte entstanden. Eine Freigabe meiner persönlichen Daten und eine direkte Kontaktaufnahme ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Inhalte meiner Webseiten artefactae.wordpress.com, derglaesernemensch.wordpress.com, artefaktejourn.wordpress.com sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste, Internet und Vervielfältigung auf Datenträger wie CD-ROM, DVD-ROM usw. dürfen, auch auszugsweise, nur nach vorheriger, schriftlicher Zustimmung durch mich erfolgen. Eine kommerzielle Weitervermarktung des Inhalts ist untersagt. Zitieren aus den urheberrechtlichen geschützten Inhalten ist nur nach Rücksprache und nach Klärung von Verwertungsrechten gestattet. Ich hafte nicht für unverlangt eingesandte Inhalte, Manuskripte und Fotos. Die Veröffentlichung von Kommentaren behalte ich mir vor. Sie unterziehe ich einer Qualitätsprüfung. Für Inhalte externer Links und fremde Inhalte übernehme ich keine Verantwortung.

Hinterlasse einen Kommentar